Veröffentlicht am 21. Februar 2018

Nachbesetzung chirurgischer Arztstellen

Kann eine chirurgische Arztstelle in einem MVZ mit einem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie nachbesetzt werden? Kann der Nachfolger eines Facharztes für Allgemeinchirurgie auch ein Facharzt für Gefäßchirurgie sein? Viele Unklarheiten beruhen zum einen auf einem Auseinanderfallen der weiterbildungsrechtlichen Fachgebiete und der bedarfsplanungsrechtlichen Arztgruppen sowie zum anderen auf dem nicht ganz einfach zu verstehenden Urteil des BSG vom 28.09.2016 (B 6 KA 40/15 R).

Seit dem Beschluss des Deutschen Ärztetages im Jahr 2003 sehen die landesrechtlichen Weiterbildungsordnungen den Facharzt für Orthopädie nicht mehr vor. Die Weiterbildungsordnungen gliedern sich in Fachgebiete, welchen die Facharztbezeichnungen zugeordnet werden. Ein Fachgebiet Orthopädie existiert bereits länger nicht mehr. Daher ist der „Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie“ dem Fachgebiet der Chirurgie zugeordnet. In der vertragsärztlichen Bedarfsplanung wird demgegenüber nach sogenannten Arztgruppen unterschieden. Hier existiert weiterhin die Arztgruppe der Orthopäden. Zu dieser gehören die Fachärzte für Orthopädie und die Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie.

Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie ist also weiterbildungsrechtlich ein Arzt des Gebietes Chirurgie, bedarfsplanungsrechtlich aber ein Arzt der Orthopädie.

Die Nachbesetzung einer Arztstelle im MVZ setzt nun voraus, dass der ausscheidende Arzt und der prospektive neue Stelleninhaber derselben Arztgruppe im Sinne der Bedarfsplanung angehören. Hieraus ergibt sich als erstes Ergebnis, dass eine chirurgische Arztstelle eines MVZ, die bisher mit einem Facharzt für Chirurgie (nach altem Weiterbildungsrecht) oder einem Arzt der fünf neuen chirurgischen Facharztkompetenzen (Allgemeinchirurgie, Gefäßchirurgie, Kinderchirurgie, plastische/ästhetische Chirurgie, Viszeralchirurgie) besetzt ist, nicht mit einem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie nachbesetzt werden kann.

Von dieser Grundregel gibt es eine Ausnahme: Wenn der bisher tätige Arzt Facharzt für Chirurgie mit der alten Schwerpunktbezeichnung Unfallchirurgie ist, so kommt eine Nachbesetzung durch einen Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie in Betracht. Das BSG hat nämlich die Regelung des § 16 Satz 1 Bedarfsplanungs-Richtlinie auf MVZ für entsprechend anwendbar erklärt. Danach kann eine Nachbesetzung auch durch solche Ärzte erfolgen, die ganz oder teilweise in einem Fachgebiet tätig sind, welches mit einem alten Fachgebiet übereinstimmt. Das BSG leitet hieraus ab, dass eine Nachbesetzung mit einem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie dann möglich ist, wenn der bisherige Stelleninhaber Facharzt für Chirurgie mit der Schwerpunktbezeichnung Unfallchirurgie war.

Die Sonderregelung setzt weiter voraus, dass der bisher tätige Chirurg mit der Schwerpunktbezeichnung Unfallchirurgie ganz oder teilweise, also nicht nur in untergeordnetem Umfang, orthopädisch oder unfallchirurgisch tätig war.

Der Aspekt der Fortführung der Tätigkeit gewinnt zudem auch dann Bedeutung, wenn im Rahmen der Nachbesetzung die chirurgische Arztstelle mit einem Arzt der übrigen weiterbildungsrechtlichen Facharztkompetenzen aus dem Gebiet der Chirurgie besetzt werden soll. Dies sind die vorstehend genannten fünf Facharztbezeichnungen (da die Thoraxchirurgie und die Herzchirurgie als nicht zulassungsfähig angesehen werden). Wenn nun auf einen Chirurgen alten Rechts ohne Schwerpunkt ein Facharzt für Gefäßchirurgie nachfolgen soll, so können die Zulassungsgremien prüfen, ob der bisher tätige Chirurg in nennenswertem Umfang gefäßchirurgisch arbeitete. Gleiches gilt, wenn z.B. in Nachfolge eines Gefäßchirurgen ein Viszeralchirurg oder z. B. in Nachfolge eines plastischen Chirurgen ein Kinderchirurg tätig werden soll. Die Möglichkeit der Prüfung der Fortführung der Tätigkeit betrifft alle Konstellationen.

Bisher handhaben die Zulassungsgremien diesen Aspekt soweit ersichtlich liberal, zumal sich die gleichen Fragen nämlich auch in den Gebieten der Inneren Medizin und der Nervenheilkunde stellen. Das Erfordernis der Fortführung der Tätigkeit gilt nicht nur für MVZ, sondern in gleicher Weise für die Nachfolgezulassung von freiberuflich tätigen Vertragsärzten. Es ist allerdings nicht sicher, dass diese Verwaltungspraxis in Zukunft so liberal bleibt. Insbesondere wenn in einem Planungsbereich die Anzahl der allgemeinchirurgisch tätigen Ärzte hoch und z.B. die Anzahl der Gefäßchirurgen niedrig ist, könnten die Zulassungsgremien die Nachbesetzung eines bisher gefäßchirurgisch arbeitenden Arzt des MVZ durch einen allgemeinchirurgisch arbeitenden neuen Arzt verweigern.

Tipp
Ein MVZ, welches über einen (alten) Facharzt für Chirurgie mit der Schwerpunktbezeichnung Unfallchirurgie verfügt oder einen solchen für sich gewinnen kann, könnte überlegen, diesen Arzt auf der chirurgischen Arztstelle zu beschäftigen. Dann ist der Weg zur Nachbesetzung mit dem neuen Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie frei. Anderenfalls muss man sich auf Leistungen der Allgemeinchirurgie, Gefäßchirurgie, Kinderchirurgie oder Viszeralchirurgie spezialisieren.

Quelle: Dr. Ingo Pflugmacher, Fachanwalt für Medizin- und Verwaltungsrecht, Partner der Kanzlei Busse & Miessen Rechtsanwälte, Bonn